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SPD-Rüstungsexperte Hermann Scheer "Das Öl ist der Hauptgrund für diesen Krieg"

Der SPD-Energie- und Rüstungsexperte Hermann Scheer fordert von der Regierung, konsequent gegen den Irak-Krieg zu stimmen. Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE warnt er vor den unabsehbaren Kriegskosten, der Gefahr weltweiter nuklearer Aufrüstung und appelliert an die Europäer, sich vom Öl abzuwenden.

Hermann Scheer (SPD);

Der ehemalige Leutnant, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler ist seit 1993 Mitglied im SPD-Bundesvorstand. Der Experte für alternative Energien und ehemalige Vorsitzende des Rüstungskontroll- Ausschusses im Bundestag erhielt 1999 den Alternativen Nobelpreis.>SPIEGEL ONLINE: Am heutigen Freitag geht die SPD-Fraktion mit dem Kanzler in Klausur. Wird die SPD-Linke ein verbindliches Nein zum einem Irak-Krieg verlangen?

Hermann Scheer: Nein. Die Fraktion muss nicht über die Erklärung von Schröder hinausgehen, die er am Montag schon im SPIEGEL-Interview formuliert hat: Keine Beteiligung an einer militärischen Aktion, fortgesetztes Werben für den Frieden. Ein Extra-Beschluss würde wirken, als würde Gerhard Schröder in seiner Grundhaltung nicht vertraut. Doch sein Nein zu diesem Krieg hat er von sich aus formuliert, aus Überzeugung, nicht aus Taktik.

SPIEGEL ONLINE: Schröder wollte im SPIEGEL aber nicht sagen, ob die Bundesrepublik im Sicherheitsrat zwar für einen Waffengang stimmen könnte, jedoch keine Truppen schickt.

Scheer: Er hat aber deutlich gemacht, dass die deutsche Haltung in der Uno nicht im Widerspruch zu seinen bisherigen Aussagen stehen wird. Das ist vielsagend. Denn in dieser Frage geht es auch um seine persönliche Glaubwürdigkeit. Das Risiko, plötzlich Ja statt Nein zu einem Krieg zu sagen, wäre immens für ihn und die gesamte Koalition. Ich glaube nicht, dass das SPD und Grüne ohne lange dauernden Schaden überstehen würden. Auch für Deutschlands Ansehen wäre ein solcher Wandel fatal - und teuer.

SPIEGEL ONLINE: Warum teuer?

Scheer: Ein Ja zu einem Krieg ohne militärische Beteiligung kostet viel. Wer mit Ja im Sicherheitsrat stimmt, kann sich kaum vor den Kriegsfolgekosten drücken. Schon im ersten Golfkrieg haben Japan und Deutschland höhere Kriegsfolge- und Beteiligungskosten getragen als die Amerikaner.

SPIEGEL ONLINE: Für wie hoch halten Sie das Kriegsrisiko?

Scheer: Leider immer noch sehr hoch. Schon die Bedingungen, die zur Entsendung der Waffeninspektoren führten, waren aus meiner Sicht nur ein Vorwand. Jeden Vor- oder Zwischenbericht hat die US-Regierung als nicht ausreichend zurückgewiesen und sich auf angebliche bessere Informationen gestützt. Offen gelegt wurden die nicht. Ich gehe davon aus, dass die US-Regierung die Öffentlichkeit täuscht.

SPIEGEL ONLINE: Womit stützen Sie Ihren Verdacht?

Scheer: Mit dem doppelten Maßstab der Amerikaner. Einerseits bereiten sie nur auf Verdacht hin eine militärische Intervention im Irak vor, andererseits begnügen sie sich bei Nordkorea mit politischen Druck. Dabei gibt Nordkoreas Regierung offen zu, an Massenvernichtungswaffen zu arbeiten. Dieser Widerspruch legt nahe, dass die Irak-Kriegspläne einen ganz anderen Hintergrund haben.

SPIEGEL ONLINE: Der wäre?

Scheer: Handfeste Ölinteressen. Billig zu förderndes Öl geht in den nächsten 40 Jahren aus. Damit wird bedeutsam, wer einen politisch gesicherten Zugang hat. Schon jetzt verbraucht die US-Wirtschaft 25 Prozent der Welterdölförderung. Deshalb ist sie daran interessiert, die Kontrolle über die Preisentwicklung zu behalten. Von den 40 Riesenölfeldern, aus denen 60 Prozent der Welterdölförderung stammt, liegen 26 am Golf. Die größten Reserven liegen in Saudi-Arabien, die zweitgrößten im Irak. Die in Saudi-Arabien werden zehnmal stärker ausgebeutet und eher zur Neige gehen. Das heißt: unter dem Irak liegt der letzte Tropfen.

SPIEGEL ONLINE: Die USA beteuern, Demokratie im Irak und der arabischen Welt durchsetzen zu wollen.

Scheer: Dann hätten sie sich nie auf die Taliban eingelassen. Die wurden vor dem Afghanistan-Krieg zum Verhandlungspartner - um Kontrolle zu bekommen über die Öl-Pipeline aus Turkmenistan. Auch jetzt geht es um Kontrolle. Denn Saudi-Arabien ist für Amerika zu einem Unsicherheitsfaktor geworden. Von dort kamen die meisten der Kamikazeattentäter des 11. September und in Riad droht am ehesten ein Umsturz durch strenggläubige, wahabitische Islamisten. Eingreifen könnten die USA im Land von Mekka oder Medina aber nicht, dass würde einen Flächenbrand in der gesamten islamischen Welt auslösen. Deshalb ist der Irak das Substitut. Er ist die amerikanische Erdölversicherung, falls die Kontrolle über das saudi-arabische Erdöl verloren geht. Das ist der Hauptgrund für diesen Krieg.

SPIEGEL ONLINE: Klingt das nicht sehr nach Verschwörungstheorie?

Scheer: Hier zu Lande wird das leider gerne als ein Schmuddelargument abgetan. Dabei ist dies das einzige rational nachvollziehbare US-Motiv. Es geht um den Lebenssaft der Weltwirtschaft, also ein Schmuddelmotiv. 1991 nach Auflösung des Warschauer Pakts ist das in Rom sogar in die neue Nato-Strategie eingeflossen - weltweite Ressourcensicherung. Das steht offiziell in den Texten, aber in Deutschland hielt man das für Feuilleton.

SPIEGEL ONLINE: Die USA nehmen diesen Ansatz nun ernst?

Scheer: Offenkundig. Seit 1991 geben die USA jährlich 50 bis 60 Milliarden US-Dollar für ihr militärisches Engagement im Golf aus.

SPIEGEL ONLINE: So hoch sollen auch die Kosten für den Irakkrieg sein...

Scheer: Zusätzlich! Das macht umgerechnet 100 Dollar pro Barrel Öl, der von dort nach Amerika geliefert wird - eine reine Zukunftsinvestition. Auch die Engländer leisten sich einiges - mit 4000 Mann Dauer-Truppenpräsenz am Golf.

SPIEGEL ONLINE: England kämpft also mit ums Öl?

Scheer: Das Öl erklärt mehr als alles andere das britische Verhalten. Von den sechs größten Erdölgesellschaften sind zwei britisch, BP und Shell. BP ist sogar ein britischer Staatsbetrieb und hat 20 Jahre lang bis in die Verwaltung des Iraks hineinregiert.

SPIEGEL ONLINE: Frankreichs Präsident Chirac hat jüngst ebenfalls eine Kriegsteilnahme angedeutet.

Scheer: Wenn die Franzosen mitmachen sollten, wird das auch aus diesem Grunde geschehen. Denn einer der sechs größten Ölkonzerne ist Total Fina Elf. Schon im Oktober letzten Jahres wurde den Franzosen, Chinesen und Russen Förderlizenzen für die Nach-Hussein-Zeit angeboten.

SPIEGEL ONLINE: Fallen Frankreich und Russland damit als Verbündete Deutschlands im Sicherheitsrat aus?

Scheer: Bequem wird das für Deutschland sicher nicht. Ein Zusatzmotiv für Russland, sich auf die US-Seite zu schlagen, ist möglicherweise eine Art Schweigeprämie für ihr Vorgehen in Tschetschenien. Bei China wäre das Motiv stark ans Öl gekoppelt. Dort wächst der Energieverbrauch jährlich zehn Prozent.

SPIEGEL ONLINE: Droht Deutschland also im Uno-Sicherheitsrat die Isolation?

Scheer: Eventuell Verärgerung bei anderen Regierungen, weil mit einem klaren Nein Deutschland zum Kronzeugen einer Kriegsverweigerung wird. Das macht das Mitwirken am Krieg für andere Regierungen innenpolitisch schwerer vermittelbar. Deutschland muss deren Kritik aber aushalten. Außerdem weiß Gerhard Schröder, dass er vielen europäischen Staatschefs aus dem Herzen gesprochen hat.

SPIEGEL ONLINE: Beinhaltet ein Nein zum Krieg auch das Verweigern von Starterlaubnissen oder Überflugrechten für US-Militärmaschinen?

Scheer: Das wäre ein unnötiger Nebenkriegsschauplatz. Allein der Vorgang eines solchen Neins ist politisch so gravierend, dass man ihn nicht durch weitere Nadelstiche belasten sollte.

SPIEGEL ONLINE: Steht denn die SPD-Fraktion geschlossen hinter einem solchen Nein?

Scheer: Dass viele dabei beklommene Gefühle haben, insbesondere bei Betrachtung mancher Kommentarlagen, ist denkbar. Aber die Medienöffentlichkeit, die sich kurioserweise mehr mit dem deutsch-amerikanischen Verhältnis als mit Friedensalternativen beschäftigt, ist keineswegs repräsentativ für die Meinung der Öffentlichkeit.

SPIEGEL ONLINE: Aber es geht doch um den Sturz einer Diktatur?

Scheer: Außer Frage bleibt, dass Saddam Hussein ein Dikator ist. Allerdings darf nicht zum selbstverständlichen Bestandteil der internationalen Politik werden, dass man Diktaturen durch Kriege stürzt. Dann drohen in dieser Welt nur noch Blutbäder. Das wäre gespenstisch und nicht nur ein Rückfall ins 19. Jahrhundert, sondern in Zeiten, als es noch gar keine Demokratie gab.

SPIEGEL ONLINE: Die USA halten alle Aufregung für umsonst, sie rechnen mit einem problemlosen Blitzkrieg.

Scheer: Das ist eine vage Hoffnung und legitimiert das Vorgehen nicht. Der Krieg soll vor allem so geführt werden, dass kein US-Soldat zu Schaden kommt - was paradoxerweise zur Brutalisierung des Krieges führt. Es wird massiver aus großen Entfernungen bombardiert. Damit werden leichtfertig Kollateralschäden an der Bevölkerung in Kauf genommen und die Pflicht zur Kriegsgefangennahme durch Töten ersetzt. Damit wird das humanitäre Völkerrecht, von der Hager Landkriegsordnung bis zur Genfer Konvention, außer Kraft gesetzt. Je erfolgreicher diese Methode wird, um so eher wird sie zum selbstverständlichen Inhalt von Politik werden. Das hat eine katastrophale Folge: Aufrüstung weltweit.

SPIEGEL ONLINE: Warum das?

Scheer: Einige Staaten werden versuchen, zum Schutz Atomwaffen zu bauen. Nordkorea liefert derzeit das beste Beispiel für diese Entwicklung, Iran dürfte folgen. So kann dieser Krieg genau zum Gegenteil von dem führen, was eigentlich bewirkt werden soll: Die Ausweitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern.

SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie denn einen Ausweg?

Scheer: Eine Lehre muss sein, dass wir endlich eine Anti-Öl-Strategie entwickeln. Deshalb brauchen wir eine europäische Treibstoffstrategie zur Mobilisierung von Biokraftstoffen. Das europäische Potenzial reicht für Treibstoffunabhängigkeit aus. Das wäre eine richtige Antwort, wie sie auch in den USA schon einmal formuliert worden ist. Unter Jimmy Carter.

SPIEGEL ONLINE: Wie sah dessen Konzept aus?

Scheer: Unter Carter entstand 1980 eine dicke Studie über die Notwendigkeit vom Ausbau dezentralisierten und erneuerbaren Energien. Sie trägt den Untertitel: "Alternativen zur Verletzbarkeit der Nation und zum Krieg". Erstellt wurde sie im Pentagon. Ronald Reagan zerschlug diese Ansätze sofort wieder, denn sein Wahlkampf war genauso intensiv von der Ölindustrie gesponsert wie der von Bush. Dieses Verhängnis baden wir jetzt aus.

Das Gespräch führte Holger Kulick

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